An der Höhe der ab dem Kalenderjahr 2019 entstandenen Säumniszuschläge bestehen verfahrensrechtliche Zweifel (FG Münster, Beschluss vom 16.12.2021 – 12 V 2684/21; Beschwerde zugelassen).
Zum Sachverhalt:
Die Antragstellerin entrichtete die fällige Grunderwerbssteuer verspätet im November 2019, wodurch Säumniszuschläge für drei Monate entstanden – die die Antragstellerin auch zahlte. Auf Antrag erließ das Finanzamt hierüber einen Abrechnungsbescheid. Hiergegen legte die Antragstellerin als Rechtsmittel den Einspruch ein und beantragte die Aufhebung der Vollziehung. Nach Ablehnung dieses Antrages durch das zuständige Finanzamt wandte sich die Antragstellerin an das Gericht und machte geltend, die Höhe der Säumniszuschläge sei im Hinblick auf die Zinshöhe ergangene Entscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 ebenfalls verfassungswidrig. Hierzu berief sie sich auf einen nicht veröffentlichten Beschluss des BFH vom 31.08.2021 – VII B 69/21.
Abweichend von diesem Beschluss sei die Vollziehung der Säumniszuschläge im Streitfall nicht hälftig, sondern vollständig aufzuheben.
Das Finanzamt wandte diesbezüglich ein, dass keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge bestünden. Sie wirkten als Druckmittel, dienten der Abgeltung von Verwaltungsaufwand und seien eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung. Ein fester Zinsanteil lasse sich nicht ermitteln. Die Entscheidung der BVerfG sei daher nicht auf Säumniszuschläge übertragbar.
Das FG Münster hob die Vollziehung des Abrechnungsbescheids über die Säumniszuschläge in vollem Umfang auf.
- Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge von 1% pro Monat erscheint zweifelhaft.
- Nach dem von der Antragstellerin angeführten Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 sind Nachzahlungszinsen nach § 233a AO verfassungswidrig, soweit sie auf Verzinsungszeiträume ab 2014 entfallen. Allerdings gilt die verfassungswidrige Regelung bis 31.12.2018 fort.
- Andere Verzinsungstatbestände bedürfen nach Auffassung der BVerfG einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung, wobei zu berücksichtigen ist, dass Steuerpflichtige im Bereich der Teilverzinsungstatbestände grundsätzlich die Wahl haben, ob sie den steuerlichen Zinssatz von 0,5% pro Monat hinnehmen oder sich die zur Tilgung der Steuerschuld erforderlichen Geldmittel anderweitig zu günstigeren Konditionen beschaffen.
- In seinem von der Antragstellerin in das Verfahren eingebrachten Beschluss vom 31.08.2021 – IVV B 69/21 führt der BFH aus, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel auf Säumniszuschläge übertragbar sind, soweit ihnen nicht die Funktionen eines Druckmittels, sondern eine zinsähnliche Funktion zukommt.
- Da sich das Aussetzungsbegehren im dortigen Verfahren nur auf die hälftigen Säumniszuschläge beschränkt hat, hat der BFH keine Entscheidung über darüber hinaus gehende Beträge treffen müssen.
- Nach Auffassung des 12. Senats des FG Münster kann die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein, weil es keine Teil-Verfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm geben kann. Daher ist die Vollziehung der Säumniszuschläge in vollem Umfang aufzuheben.
Hinweis:
Das Finanzamt hat die vom Senat zugelassene Beschwerde eingelegt. Der Senat hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem BFH zur Entscheidung vorgelegt. Ein dortiges Aktenzeichen ist noch nicht bekannt. Der Volltext des Beschlusses ist auf der Homepage des FG Münster veröffentlicht.
Quelle: FG Münster, Newsletter Januar 2022 (il) / NWB Online-Nachricht vom Montag 17.01.2022